Entschuldigender Notstand im Rettungsdienst...!

23.07.2019

Leere Arzneimittellisten (AML 1 und 2) waren in der Vergangenheit Anlass zu Spekulationen. Was dürften die NotfallsanitäterInnen überhaupt, vor allem bei "leeren Listen"...?

Grundlegend sind die Vorschriften des Sanitätergesetzes zu beachten. Demnach ist bei einer "leeren" oder einer "minimalen" AML auch nichts weiteres freigegeben. Jedoch kommen die MitarbeiterInnen des Rettungsdienstes oftmals auch in Notsituationen, wo der nachgeforderte Notarzt noch einige Zeit auf sich warten lässt, und die/der NotfallpatienIn in Lebensgefahr schwebt. Und bis auf drei Bundesländer bzw. Rettungsorganisationen sind die AML sehr dürftig.

Wie soll man sich als (Notfall-)SanitäterIn richtig verhalten ?

In Deutschland ist das Leben als höchstes Gut (Artikel 2 Grundgesetz) anerkannt. In den §§ 34 und 35 dStGB sind der "rechtfertigende" und "entschuldigende" Notstand geregelt. Durch die NotSan-Prüfungen sind daher auch die "gelernten und sicher beherrschten Maßnahmen" über die staatliche Prüfung garantiert. Hier gibt es zwar noch Optimierungsbedarf, jedoch ist die Situation für die dt. NotSan schon sehr gut abgesichert.

In Österreich hingegen, herrscht noch keine dementsprechende Judikatur zum Rettungsdienstpersonal. Wohl auch aufgrund der Allmachtsstellung einer großen Hilfsorganisation. Jedoch ist auch in Österreich dieser "entschuldigende Notstand" im § 10 StGB definiert. Die Garantenstellung ist im § 2 StGB verankert. Zur Ergänzung darf  noch erwähnt werden, dass selbst das österr. Verwaltungsrecht mit § 6 VStG einen solchen Rechtfertigungsgrund ebenfalls kennt (in Deutschland: § 16 OWiG).

Somit bestünde fast "Waffengleichheit" zum deutschen System. Jedoch stellt sich die Frage, inwieweit hier die notwendigen Fähigkeiten, zur Absicherung, nachweisen liesen. Man wird sicherlich mit einschlägiger Erfahrung und anderer, medizinischer Berufsausbildung argumentieren können. Jedoch sollte aber bereits mit Abschluss der Ausbildung der Katalog an Fähigkeiten über das Ausbildungs- und Prüfungsprogramm nachgewiesen werden können. Daher ist höchstes Augenmerk auf die Dokumentation zu legen...!

Besonders spannend ist die Frage zu untersuchen, wie weit die Notstandskompetenzen von im Ausland ausgebildeten (Deutschland, GB, Ungarn, etc.) Paramedics gehen, welche in Österreich für die Rettungsdienstbetriebe tätig sind. Denn diese haben in staatlichen Prüfungen ihr Wissen und Kompetenz in einer mehrjährigen Ausbildungen unter Beweis gestellt. Ein Unterlassen dieser Maßnahmen kann im Heimatland in der Regel ein Berufsverbot nach sich ziehen (unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Körperverletzung, etc.)...!!! Dementsprechend können auch im Ausland (idS in Österreich) unterlassene Hilfeleistungen bei der zuständigen Behörde ein Verfahren in Gang setzen. Zusätzlich wäre ebenfalls in Österreich eine Strafbarkeit gegeben.

Und das höchste Gut ist nun einmal das Leben...! 

In Österreich ist das Recht auf Leben in Art. 2 EMRK, Art. 85 B-VG, sowie 6. ZPEMRK verfassungsrechtlich geschützt. Daher wird man den entschuldigenden Notstand in Österreich in Zukunft auch stärker in den Fokus der rettungsdienstlichen Betrachtung der Kompetenzen der Rettungsdienst-MitarbeiterInnen stellen müssen!

Der OGH (Oberster Gerichtshof) hat dazu allgemein schon Rechtssätze anerkannt:

  • Entscheidungstext OGH 04.12.1973 12 Os 93/73 - Rechtfertigender ("übergesetzlicher") Notstand setzt die Rettung eines eindeutig höherwertigen Gutes auf Kosten eines geringeren voraus. (Veröff: ÖBl 1974,40)
  • Entscheidungstext OGH 27.03.1974 9 Os 179/73 - Entschuldigender Notstand verlangt, daß dem Täter rechtmäßiges Verhalten unzumutbar war, anders ausgedrückt: daß die Tat unter Umständen und aus Motiven geschah, die auch einen maßstabgerechten (rechtstreuen) Menschen dazu bestimmt hätten.
  • Entscheidungstext OGH 18.09.1979 9 Os 86/79 Beisatz - Beide Notstandssituationen verlangen einen unmittelbar drohenden bedeutenden Nachteil.

Hier geht es zu den Entscheidungen des OGH...!

Zusammenfassend wird man daher zu der Ansicht gelangen, dass die Unterschiede in Fragen des Notstands, zwischen Deutschland und Österreich, verschwindend gering sind...! 

Obwohl der österr. NFS eine bescheidene Ausbildung genießt, wird man ebenfalls dem "nur"-öNFS einen bescheidenen Katalog an Maßnahmen, auch gegen den Willen der jeweiligen Hilfsorganisation/RD-Betreiber zugestehen müssen. Auch verwehrt sich das österreichische Recht nicht grundsätzlich der Fähigkeiten, welche aufgrund einer anderweitigen medizinischen Ausbildung (Anästhesiepflege, dt. NotSan/RettAss,  ungarischer, tschechischer, britischer Paramedic, etc.) bestehen.

PRO RettungsDienst Österreich jedenfalls, spricht sich in einem einstimmig gefassten Beschluss, eindeutig FÜR die Anwendung von lebenserhaltenden Maßnahmen im entschuldigenden Notstand bei entsprechender Qualifikation aus, da auch in Österreich das menschliche Leben ein sehr hohes Gut darstellt, und nicht durch Verhinderungsvorschriften zum Nachteil der PatientInnen geschädigt werden darf...! Die Voraussetzung für deren Anwendung müssen allerdings beachtet werden.

Der von den Hilfsorganisationen beliebte, und natürlich gelebte, Vereinsausschluss wäre bei Vorliegen der Voraussetzungen für den entschuldigenden Notstand gemäß § 879 Abs 1 ABGB (gute Sitten) rechtswidrig, und kann bekämpft werden...! Ebenso ist für das Arbeitsrecht zu sagen, das eine derartige Kündigung bekämpft werden kann (verpönte Motive)...!

Inwieweit überhaupt das "Leerlassen von Arzneimittellisten (AML)" durch die Rettungsorganisationen mit den Verfassungsbestimmungen konform ist, und ob hier das Sanitätergesetz (SanG) Verfassungsrecht verletzt (da keine behördliche Aufsicht und Maßnahmen in Bezug auf AML greifen), kann - leider - nur vom Patienten bzw. dessen Hinterbliebenen ex post in einem gerichtlichen Verfahren festgestellt werden. Es wäre allerdings denkbar, eine Verfassungsbeschwerde gegen diese "luftigen" Bestimmungen des Sanitätergesetzes durch RettungsdienstmitarbeiterInnen mit Notfallkompetenzen zu prüfen, da sich diese Gruppe während der Ausübung ihrer Pflichten regelmäßig in einem nicht rechtfertigbaren Konflikt befinden.

Es ist an der Zeit, dass endlich auch in Österreich deutsche Verhältnisse einkehren (obwohl diese eigentlich eh schon bestehen). Anders kann man dem Reformunwillen der politisch gesteuerten Hilfsorganisationen nicht mehr beikommen!

Auch wird man bei der anstehenden Reform des SanG eine Mindest-AML durch den Bund (oder das jeweilige Bundesland) einführen müssen, um den derzeitigen Kindergarten in professionelle Bahnen zu lenken. Diese Forderung hat PRO RettungsDienst Österreich bereits 2004 in seiner Gesetzesvorlage 06/2014 erhoben.

Ebenfalls stößt es auf, wenn das österreichische Pendant (BVRD) zum deutschen Berufsverband Rettungsdienst (DBRD) keinen subsidiären Versicherungsschutz für seine Mitglieder bereit stellt. Daher sollten invasiv befähigte MitarbeiterInnen auch an den Abschluss einer, in Österreich erhältlichen, Berufshaftpflichtversicherung für SanitäterInnen nachdenken.


Beitrag: Heribert A. Lederwasch


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